Barrierefreiheit

Falsche Prioritäten?

Die Diskrepanz zwischen öffentlicher Meinung und politischer Kommunikation

Der starke Vertrauensverlust in die österreichische Politik wirft die Frage auf, ob sich deren kommunikative Agenda zunehmend von den Bedürfnissen der Bevölkerung entfernt. Dieser Beitrag analysiert die Diskrepanz zwischen öffentlicher Meinung und den politischen Diskursen anhand aktueller Umfrageergebnisse und empirischer Befunde aus vier Bundesländern. 

Vertrauenskrise 

Vergleicht man das Vertrauen in die Regierung zwischen den einzelnen OECD-Staaten, gehört Österreich zu den Ländern mit den schlechtesten Werten. Repräsentativen Umfragen zufolge hält sich im OECD-Schnitt der Anteil derjenigen, die ihrer Regierung vertrauen und derjenigen, die ihr misstrauen mit jeweils etwa 40% die Waage, 10% nehmen eine neutrale Position ein. In Österreich hingegen vertraut weniger als ein Viertel der Befragten der Regierung, 15% wollen sich nicht festlegen und über 60% geben an, kein Vertrauen zu haben.1  

Gescheiterte Krisenkommunikation?

Sucht man nach möglichen Gründen für diesen eklatanten Mangel an Vertrauen, wird man in der jüngeren Vergangenheit schnell fündig. Man denke an die Handhabung der Corona-Krise, in der die Regierung beinahe im Wochentakt neue Maßnahmen mit großer medialer Resonanz verkündete. Gleichzeitig wurden die Inseratenbudgets massiv erhöht.2 Die Vermutung stand im Raum, dass Eigenwerbung bei der Krisen-Kommunikation wichtiger war als die Ausarbeitung einer langfristig angelegten, konsistenten Strategie. Während sich die Politik immer weiter in die Erlassung unzähliger, teils widersprüchlicher Verordnungen verstrickte, fühlte sich der überwiegende Teil der Bevölkerung im Umgang mit Corona nicht mehr repräsentiert, vorwiegend ökonomisch schlechter gestellte Personen.3 Deshalb ist es  wenig erstaunlich, dass die österreichische Regierung von allen EU-Ländern den stärksten Vertrauensverlust während der Pandemie hinnehmen musste.4  

Öffentliche Meinung vs. politischer Diskurs

Diese Kommunikation an den Bedürfnissen der Bevölkerung vorbei zieht sich durch viele weitere Bereiche und betrifft insbesondere Zukunftsthemen. Eine SORA-Umfrage unter 16- bis 25-Jährigen zeigte, dass der Ukraine-Krieg, der Klimawandel, die Schere zwischen Arm und Reich, die Pandemie und eine drohende Wirtschaftskrise dieser Altersgruppe am meisten Sorgen bereiten. Fragt man nach der Einschätzung danach, wie die Politik diese Themen handhabt, sind die Ergebnisse mehr als ernüchternd: Bei der Schere zwischen Arm und Reich geben etwa 87% an, dass Österreich auf einem schlechten Weg ist. Beim Klimawandel sind es 82% die glauben, dass die Verantwortlichen nicht richtig handeln. Auch in der Pflege (75%), der Energiewende (72%) und im Bildungsbereich (64%) glaubt eine große Mehrheit der Jugendlichen nicht, dass die Richtung stimmt. Zudem waren 88% der Meinung, dass die Politik schon seit Jahren zu kurzfristig und populistisch agiert. 

Nach Analyse der Themen, mit denen sich die Politik medial positioniert, dürften diese Einschätzungen nicht weiter überraschen. Man kann der Bundespolitik zwar nicht vorwerfen, sich nicht mit dem Ukraine-Krieg und der damit einhergehenden Energiekrise und Teuerungswelle – die derzeit das dringlichste Anliegen der Bevölkerung ist6 – zu beschäftigen, allerdings handelt es sich dabei vielfach um eine reaktive, kurzfristige Politik des Kittens und Korrigierens. Aktionen wie die Russland-Reise des Bundeskanzlers ermöglichen in der politischen Debatte überdies die Mutmaßung, dass Inszenierung und machtpolitisches Kalkül im Vordergrund stehen und eher kurzfristige Umfrageerfolge als substanzielle Positionierungen forciert werden.  

Initiativen zu entscheidenden Weichenstellungen entspringen nur selten den Visionen der Politik, sie sind vielmehr situativ getrieben und erfolgen aufgrund medialen Drucks. So brauchte es etwa eine Pandemie, um die lange zuvor schon prekäre Situation im Pflegebereich verstärkt auf die Agenda zu bringen. Der Klimawandel hingegen ist derzeit kaum mehr präsent in den Medien und wurde somit auch in der politischen Kommunikation auf das Abstellgleis gestellt. 

Darüber hinaus ist die Bundespolitik noch immer mit der Aufarbeitung des Ibiza Skandals und den Verwerfungen der Kurz-Ära befasst. Unter diesen volatilen Rahmenbedingungen – geprägt durch permanente Untersuchungsausschüsse und einer hohen Fluktuation von politischem Personal – scheint es nur schwer möglich, nachhaltige Lösungsansätze für Herausforderungen zu entwickeln, deren Zeithorizont weit über Legislaturperioden hinaus reicht.  

Die Themensetzung der Landespolitik im Fokus

Obwohl die Verhältnisse in der Politik und Kommunikation der Bundesländer deutlich stabiler sind, richtet sich der Fokus hier nur unwesentlich stärker auf die drängendsten Anliegen der Bevölkerung, wie eine Untersuchung von MediaAffairs zeigt.* Ein Blick auf die Themen, mit denen sich die Parteien in Oberösterreich, der Steiermark, Kärnten und Salzburg in den Medien positionieren, macht deutlich, dass sich eine große Kluft zwischen den Prioritäten der Politik und der Lebensrealität der Bevölkerung aufgetan hat. 

Zwar zeigt sich, dass sich die Politik in den untersuchten Bundesländern immerhin mehrheitlich mit Sachthemen beschäftigt (Abb. 1) – worunter beispielsweise Gesundheitsversorgung, Bildungs- oder Energiepolitik fallen – der Anteil an sonstigen Themen ist aber bemerkenswert hoch: Im Schnitt kann ein Drittel aller Beiträge keinem Sachthema zugeordnet werden. In Anbetracht dessen, dass sich die nicht-Sachthemen aus Gegenständen wie Personalia, Parteienfinanzierung, Chronik oder Porträt & Biografie zusammensetzten wird deutlich, dass die Landespolitik in der öffentlichen Wahrnehmung zu großen Teilen um sich selbst kreist. 

Journalismus in der Defensive

Daran haben auch die Medien einen Anteil, die oft mehr über Personalia als über inhaltliche Fragen berichten. In den kleinen, aber in Summe dennoch reichweitenstarken Regionalmedien können die Parteien Wohlfühlthemen besonders leicht platzieren und sich vor allem im chronikalen Kontext volksnahe und sympathisch inszenieren. So ist es nicht verwunderlich, dass auch das Vertrauen in den Journalismus zuletzt stark in Mitleidenschaft gezogen wurde.

Die Ursachen dafür sind mannigfaltig, liegen aber mit Sicherheit auch in der wirtschaftlichen Lage der Medienunternehmen begründet.9,10 Die Kräfteverhältnissen zwischen PR und Journalismus haben sich fundamental verändert: Während die Öffentlichkeitsarbeit von Unternehmen und Parteien stetig aufrüstet, werden Redaktionen sukzessive ausgedünnt. Die redaktionelle Arbeit beschränkt sich infolgedessen vermehrt auf die Selektion und Aufbereitung von Presseaussendungen, was zu Lasten zeit- und personalintensiver Recherchen geht. 

Ein Ende dieser Entwicklung ist derzeit nicht abzusehen. Notwendigkeiten gibt es vor allem bei der Förderung von qualitativ hochwertiger, pluralistischer, kritischer und somit für die Politik oft unbequemer Berichterstattung. Die geplante Reform der Medienförderung könnte zwar ein Schritt in diese Richtung sein,11 ein großer medienpolitischer Wurf ist allerdings eher nicht zu erwarten. Dieser würde einen Paradigmenwechsel in der Politik voraussetzen, die sich damit einem gestärkten und selbstbewussteren Journalismus gegenüber wiederfinden würde.  

*MediaAffairs hat im Zeitraum von 1. April bis 30. September 2022 18.710 landespolitische Artikel der reichweitenstärksten Printmedien in Oberösterreich (6.048 Artikel), der Steiermark (5.032 Artikel), Kärnten (4.454 Artikel), und Salzburg (3.184 Artikel) analysiert. Einbezogen wurden alle Artikel, in denen Landtagsparteien und deren PolitikerInnen aus den jeweiligen Bundesländern in Erscheinung treten. In Salzburg und der Steiermark wurde ebenso die MFG, in Kärnten die MFG sowie die Grünen mitberücksichtigt.
Die Artikel wurden einer hochdifferenzierten Analyse unterzogen, bei der nicht als Ganzes, sondern Wortgenau codiert und nach Themen kategorisiert wurde. Die Kategorisierung erlaubt Rückschlüsse darauf, ob es sich um Sachthemen oder sonstige Themen handelt. Die Berechnung wurde zunächst in allen untersuchten Bundesländern getrennt durchgeführt und dann ein Durchschnittswert für die vier Bundesländer gebildet. Alle Ergebnisse sind nach der Reichweite der jeweiligen Medien gewichtet.

 

Literatur

1. Trust in Government - OECD. https://www.oecd.org/governance/trust-in-government/. 

2. Der Standard. Regierung schaltete 2020 Inserate um 47 Millionen Euro. DER STANDARD https://www.derstandard.at/story/2000125045670/ministerien-schalteten-2020-inserate-um-47-millionen-euro (2021). 

3. SORA. SORA Institut: Freiheitsindex 2021. https://www.sora.at/nc/news-presse/news/news-einzelansicht/news/freiheitsindex-2021-1099.html (2021). 

4. Living, working and COVID-19 (Update April 2021): Mental health and. Eurofound https://www.eurofound.europa.eu/publications/report/2021/living-working-and-covid-19-update-april-2021-mental-health-and-trust-decline-across-eu-as-pandemic. 

5. SORA Institut: „So kann es nicht weitergehen!“. https://www.sora.at/nc/news-presse/news/news-einzelansicht/news/so-kann-es-nicht-weitergehen-1106.html. 

6. Es gibt Wichtigeres als Corona: gallup.at. https://www.gallup.at/de/unternehmen/studien/2022/es-gibt-wichtigeres-als-corona/. 

7. Medienpräsenz: Pandemie und Krieg verdrängen die Klimakrise aus den Tageszeitungen. https://www.horizont.at https://www.horizont.at/medien/news/medienpraesenz-pandemie-und-krieg-verdraengen-die-klimakrise-aus-den-tageszeitungen-88769. 

8. MediaAffairs. Journalismus in der Bredoullie. https://mediaaffairs.at/aktuellebeitraege/medienmarkt/journalismusinderbredouille.html. 

9. media affairs - Mit Medienmarktanalysen zum Kommunikationserfolg! https://mediaaffairs.at/aktuellebeitraege/medienmarkt/dieoesterreichischemedienlandschaftimumbruch.html. 

10. media affairs - Mit Medienmarktanalysen zum Kommunikationserfolg! https://mediaaffairs.at/aktuellebeitraege/medienmarkt/journalismusinderbredouille.html. 

11. Reform: Regierung einigt sich auf neue Medienförderung und mehr Transparenz. https://www.horizont.at https://www.horizont.at/medien/news/reform-regierung-einigt-sich-auf-neue-medienfoerderung-und-mehr-transparenz-89513. 

Rückfragen:
Manuel Bonat
m.bonat@mediaaffairs.at

Fotocredit Titelbild: © beermedia Adobe Stock